Vor nicht langer Zeit hat mich ein
Freund gefragt, welche Sache ich auf dieser Welt am liebsten ändern
würde.
Eine kleine Geschichte vom Lernen.
Was wir lernen
An meinem ersten Tag auf dem Weg zum
Erwachsenwerden saß ich an einem hölzernen Schultisch und musste
einen Schuleignungstest machen. Auf der anderen Seite des Tisches saß
eine Lehrerin, die von mir verlangte eine Kirche auf ein Blatt Papier
zu malen, um so zu überprüfen, ob ich reif genug für dieses
Schulsystem war.
In diesem Moment einer unbedachten
Fünfjährigen, beschloss ich, dass Kirchen langweilig sind. Aber am
Tag davor hatte ich im Fernsehen zum ersten Mal einen Astronauten
gesehen. Also malte ich auf das Papier ein Raumschiff statt der
Kirche– und fiel durch den Test durch.
Damit
hatte ich am ersten Tag gleich meine drei wichtigsten Lektionen für
den Rest meiner Schul- und Studienzeit gelernt: Nicht
denken. Präzise Auswendiglernen. Kommentarlos wiedergeben.
Fazit:
wenn man dir sagt, du sollst eine Kirche malen, dann male eine
Kirche. Es ist nicht wichtig, dass du mit fünf Jahren schon weißt,
wie ein Raumschiff aussieht.
Wo wir lernen
Heute finde ich
auf dem Aufgabenzettel vor mir Sätze, Ideen und Antworten, die in
„richtig“ und in „falsch“ unterteilt werden. Wenn ich dem
zustimme, was mein Professor als „richtig“ befunden hat, bekomme
ich einen Punkt – und damit einen Abschluss.
In meiner Studienzeit habe ich häufig
das Gefühl ein Wiederkäuer schon gedachter Gedanken zu sein, die
ich an einem bestimmten Tag innerhalb eines bestimmten Zeitfensters
reproduzieren soll.
Klausuren erfassen jedoch nur einen
kleinen Ausschnitt, von dem, was ich in meiner Studienphase gelernt
und begriffen habe. Die Art und Weise, wie ich mich mit dem Stoff
auseinander setze, aber vor allem meine eigenen, weiterführenden
Gedanken wird meistens nicht einmal zur Kenntnis genommen.
Manchmal wünsche ich mir dann, dass
ich auf den Aufgabenzettel eine dritte Ankreuzmöglichkeit eintragen
darf, die sagt: „warte mal: könnte das nicht auch alles ganz
anders sein?“
Ich möchte nicht sagen, dass wir
Klausuren und Noten komplett abschaffen sollen. Für einige bedeuten
sie Struktur und Lernmotivation.
Ich sage auch nicht, dass wir Lehrpläne
ignorieren müssen, die uns auch verpflichten bestimmte Grundlagen
der jeweiligen Wissenschaft zu erlernen. Auch im Berufsleben wird es
immer wieder Phasen geben, in denen wir uns Dinge aneignen müssen,
die uns nicht gefallen und da kann so ein Training vorab hilfreich
sein.
Wie wir lernen
Was mir am Ende des Semesters jedoch
als einziges Feedback seitens der Uni bleibt, sind Noten. Ich weiß,
das alles andere – in Form von persönlicher Rückmeldung oder
individuellen Anregungen - schwer zu bewerkstelligen ist, wenn noch
300 andere Studenten im Hörsaal sitzen. Ein voller Kurs minimiert
aber nicht mein Bedürfnis als Mensch wahrgenommen und anerkannt zu
werden. Vor allem entspricht diese
Art von Lernsystem bei weitem nicht dem, was jeder von uns jungen
Menschen wert ist.
Wir müssen junge
Menschen mit ihren Ideen viel mehr in das Bildungssystem eingliedern.
Warum kann erst jemand, der einen Doktor hat gute Forschung leisten
und nicht auch schon eine Studentengruppe?
Dann könnte ja
jeder kommen, sagen viele. Aber was wäre schlimm daran? Die, die
wirklich bleiben wollen, würden weniger Hürden vorfinden. Die, die
nur reden, würden nicht durchhalten.
Wir sind viele, die nicht für dieses
engmaschige System konzipiert wurden. Wir verlieren so viele
staunende, träumende, grenzüberschreitende Menschen dabei, die eine
wichtige Ressource für unsere Gesellschaft darstellen. Deshalb
müssen wir die Menschen da abholen wo sie stehen, nicht dort, wo wir
sie gerne sehen würden.
Wir
sollten den Kindern nicht beibringen, wie sie Fragen beantworten,
sondern – wie sie Fragen stellen.
Zunächst brauchen wir Professoren, die
sich für ihre Studierenden interessieren. Ein bisschen wie der Club
der toten Dichter.
Wer hat mich denn nach einer Vorlesung
mal gefragt, was ich mir dazu gedacht habe? Selten jemand. Und
dabei habe ich mir etwas dazu gedacht. Eine Menge sogar!
Ich bin mir sicher, dass wenn wir alle
unsichtbaren und stillen Ideen vieler Studierenden einmal laut
sammeln und aussprechen würden, daraus eine neue Welt erschaffen
könnten.
Um das zu erreichen, brauchen wir
Menschen, die dabei unterstützen: Mentoren!
Wer mit uns lernt
Du erinnerst dich
bestimmt an den einen guten Lehrer, den du mal hattest. Der dir nicht
nur Aufgaben, sondern auch mal ein gutes Wort mitgegeben hat,
vielleicht einen der drei Sätze, die du in schwierigen Momenten als
Selbstmotivation aus deiner Erinnerung kramst.
Mentoren sind Menschen, die uns eine
ganz besondere Form der Akzeptanz schenken, anders als Freunde oder
Eltern, die in ihrer Beziehung zu uns ganz spezielle Funktionen
haben.
In der Verbindung zu unseren Eltern
finden wir eine unbegrenzte Liebe wieder, aber auch eine Art von
Hierarchie, die es im Laufe unserer Entwicklung zu durchbrechen gilt.
Unsere Freunde stellen unser Gegenüber dar, bieten
Identifikationsflächen und Gruppenzugehörigkeit. Ein Mentor ist
jedoch jemand, der völlig frei von alldem ist und uns gerade deshalb
so bereichern kann. Wir lernen, wie schön es ist, wenn jemand für
uns Dinge tut – die er gar nicht tun müsste. Jemand, der uns
begleitet und von Außen auf unser Innerstes schaut, uns Fragen
stellt, über die wir vielleicht mehrere Tage nachdenken müssen oder
uns manchmal einfach nur sagt: „Ich glaube an Dich.“
Im Idealfall erleben wir einen
Menschen, dessen unbändige Neugierde und Begeisterung sich auf uns
niederschlägt und uns inspiriert genau wie dieser Mensch zu werden –
auf unsere eigene Art und Weise.
Was ist „Lernen“?
Lernen bedeutet Zeit und irgendwo auch Geduld. Es beschreibt einen
Prozess, der viele Formen des Scheiterns beinhaltet, aber jedem
Menschen inbegriffen ist. Es gibt keinen Menschen, der nicht lernen
kann und möchte.
Deshalb glaube ich, dass wir Kindern nicht sagen brauchen, was und
wie sie lernen sollten.
Wir sollten ihnen vermitteln, dass wir ihnen beim Suchen, Scheitern
und Entdecken vertrauen und ihnen zur Seite stehen. Im Zeitalter von
Kleinkind-Englischkursen und Begabtenförderung für Neugeborene
erscheint das für viele Menschen undenkbar.
Aber, ein Mensch, der gelernt hat,
Vertrauen in sich selbst und seine intuitiven Fähigkeiten zu haben,
kann auch noch mit 60 Jahren Chinesisch lernen, anders als jemand,
der nie gelernt hat seinen Sinnen, anstatt seinem Wissen zu
vertrauen.
Kinder, die früh lernen, dass sie nur etwas wert sind, wenn sie
bestimmte Dinge wissen, werden in dieser Neugierde und Lernen
gebremst.
Jeder von uns sollte stolz darauf sein,
ungestellte Fragen zu besitzen.
Jeder von uns kann selbst ein Lehrer
sein, wir brauchen nicht viel dafür – eigentlich nur Zeit, um
Zuzuschauen.
Wenn mich Kinder nach richtigen und
falschen Antworten fragen, dann möchte ich ihnen sagen, dass sie
einfach nicht erwachsen werden sollten.
Dass sie den Mut entwickeln sollen, die
dritte Antwortmöglichkeit auf den Aufgabenzettel zu malen.
Und, dass es auch okay ist ein
Raumschiff zu malen, wenn man nach einer Kirche gefragt wird. Man
sollte sich dann nur Mühe geben, ein Raumschiff zu malen, das
besonders weit fliegt.
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