Sonntag, 12. Oktober 2014

un-group//re-group



Ein psychologisches Tanzexperiment aus der Contact-Improvisation
 
„So und nun gibt es auf dieser Tanzfläche keine Duos mehr!“ 

Die Gesichtsausdrücke im Kreis der Tänzer könnten nach dieser Aufforderung nicht unterschiedlicher sein. Verwirrt, freudig oder unschlüssig. 

Jeder der einmal da war kennt es -  eine Contact-Improvisations-Jam besteht zu 90% aus Duetten, manchmal auch experimentellen Gruppentänzen oder freiheitsliebenden Soloeinlagen, aber Trios und Quartette bilden auf dem zeitgenössischen Tanzboden eine Minderheit. Auch, wenn die Tanzrichtung durch ihre freien Bewegungsmuster und undefinierten Positionen durchaus dazu einlädt.

Aber, was so simpel klingt bedeutet im Hinblick auf die Geschichte des Tanzes in mancher Hinsicht einen Stilbruch. 


Denn – wir haben meistens zu zwei getanzt (in der heutigen Zeit auch viel alleine, oder auch in Gruppen). Trotzdem: wenn wir uns den Tanz als solchen anschauen, begegnen uns immer zwei Parameter: Du und ich, die aktiven Tänzer und das Publikum, die Gruppe mit ihren eingespielten Mustern gegenüber den Menschen, die diesen nicht folgen können. 

Tanz dient als Ausdruck für sich selbst und gegenüber der Welt, als Bindungshilfe für Gruppen und als Plattform für Zweisamkeit. Der „Pas de deux“ im Ballett stellt sogar den Höhepunkts des Tanzes dar. Quasi, eine Ode an das Duett.

Und nun sollen wir diese Dualität brechen, aus einem bekannten Terrain in eine Gruppe mit drei gleichförmigen Menschen         wechseln, und zuschauen, wie wir uns ohne gegebene Regeln neu koordinieren und vor allem – neu definieren. 

Ich sitze also am Rande einer Tanzfläche, die sich in den ersten Minuten dieses knapp zweistündigen Experiments erst einmal neu finden muss. Leise schleiche ich mich dazu, bewege mich über eine Landschaft aus Körpern durch den Raum, die alle miteinander, aber noch ohneeinander ihren Platz in dieser neuen Wirklichkeit suchen. 

Auch wenn schon bald die ersten Gruppen aus drei bis vier Tänzern zueinanderfinden, eine Form der Dualität bleibt dennoch bestehen: es gibt diejenigen, die Tanzangebote machen und andere, die sie annehmen. Eine Art und Weise der Annahme, die ich sehr oft entdecken kann besteht in der Wiederholung. Wie eine Hand, die einem entgegengestreckt wird fasst das Gegenüber eine kurze Bewegungssequenz auf, imitiert oder neuinterpretiert sie als eine Eintrittskarte in die Gruppensituation. Im Hinblick auf das übliche Duotanzen in der Contact-Improvisation, ist diese neue Form des Zueinanderfindens spannend, denn üblicherweise sind Tanzrollen schnell und einfach erklärt. Wer sich alleine auf der Tanzfläche bewegt wird von einer anderen Person, die solo tanzt berührt, woraufhin sich der Tanzpartner für oder gegen einen Tanz entscheiden kann. Dieser Prozess ist verglichen mit einer Gruppensituation, die weder durch Verlauf, noch durch Anzahl der Teilnehmer gekennzeichnet ist, überschaubar. 
Der zweite Aspekt, den ich in der Improvisation beobachten kann ist daher der Nutzen von Geräuschen und Stimme. Hände, die rhythmisch auf den Boden klopfen,  Stimmen, die die gleichen Sprachsilben rufen als Mittel der Zugehörigkeit innerhalb der Gruppe und als Abgrenzung gegenüber anderen. 

Wer sich physisch doch in einer gewohnten Zweier-Konstellation wiederfindet, berührt lapidar den Fuß oder die Hand eines Dritten, der in der Nähe ist oder benutzt eben die Stimme und eine Verbindung zu erzeugen. 

Das unbekannte Terrain hat aber auch einen Vorteil: wo altes nicht funktionieren kann, dürfen neue Ideen entstehen. Demnach erscheint mir das was hier geschieht deutlich kreativer, verspielter und offener gegenüber unbekannten Bewegungsimpulsen.

Die Frage, die ich mir nun stelle ist: wo beginnt eigentlich ‚Gruppe‘? Beginnt sie, in der Contact-Improvisation, durch den tatsächlichen physischen Kontakt oder schon vorweg durch eine mentale Zugehörigkeit, die Menschen zueinander wahrnehmen? Wie definieren wir sie: durch Blicke oder Geräusche, oder reicht auch schon die persönliche Empfindung darüber, was Gruppe bedeutet? 

Das Fazit derer, die teilgenommen haben, lautet vor allem so: die neue Situation fördert einen konzentrierteren Umgang, eine höhere Intensität und Kreativität und letztlich auch das, womit wohl keiner gerechnet hätte: ein starkes Gefühl der Verbundenheit.