Montag, 25. August 2014

Snickers, ein E-Reader mit Kunstbüchern und 250qm² isolierter Lebensraum

Ein Gespräch mit Romain Charles beim ESA Social Space 2014.



Der Franzose Romain Charles (35) hat freiwillig etwas gewagt, was für viele Menschen undenkbar wäre: sich einsperren zu lassen!

520 Tage lang hat er mit einer Versuchsgruppe in einem 250qm² Komplex verbracht, ohne diesen für nur einen Tag zu verlassen. Hintergrund für diese Entscheidung war das Projekt „Mars 500“. Damit sollte erforscht werden, wie sich eine Gruppe Menschen auf einem möglichst kleinen Raum über lange Zeit verhält.

Simuliert wurde eine Reise zum Mars mit 250 Tagen Hinflug, 30 Tagen Aufenthalt und 240 Tagen Rückreise. Mars 500 wollte so herausfinden: Gibt es Konflikte innerhalb der Gruppe? Was braucht der Mensch in dieser Zeit besonders?

Alex:
Du hast über 500 Tage völlig isoliert zur Außenwelt gelebt, konntest nicht einmal für frische Luft das Fenster öffnen oder zum Supermarkt gehen. Wie hast du dich darauf vorbereitet?
mit Romain Charles beim ESA Social Space am 22.08.14


Romain: Ich hatte einen Freund, der unter Wasser gearbeitet hat – also eine ähnliche Situation aus dem U-Boot kannte. Er gab mir zwei Tipps: Erstens: ich sollte mich immer versuchen zu beschäftigen, also immer irgendeiner Aktivität nachgehen. Sonst würde ich schnell auf dumme Gedanken kommen. Und zweitens: es sei wichtig, dass ich einen Tag-Nacht-Rhythmus einhalte. Ich habe mich also permanent versucht zu beschäftigen. Ich habe viele Bücher über Kunst gelesen oder Sport gemacht. Und ich bin jeden Tag morgens um 8 Uhr aufgestanden. Ich hatte dadurch ein gutes Gefühl über den Tag, aber mit der Zeit keines darüber, wie lange wir schon hier waren.

Alex: Das ist spannend, denn in der Psychologie sagt man, der Mensch braucht zwei Dinge: Das erste ist das Vertrauen und die Stabilität – in deinem Fall eine feste Tagesstruktur. Das zweite ist Wachstum und Entwicklung, so wie du dich mit neuen Dingen, beispielsweise Büchern beschäftigt hast.

Romain: Das wusste ich gar nicht! Was die Bücher über Kunst angeht: ich bin selbst ein technisch orientierter Mensch, über Kunst wusste ich vorher nicht viel. Ich habe mir immer gesagt: wenn ich mal richtig viel Zeit haben sollte, dann werde ich darüber lesen. Dort hatte ich die Zeit.

Alex: Trotzdem frage ich mich, wie hast du es geschafft, dich immer zu motivieren das Experiment fortzuführen und nicht einfach abzubrechen?

Romain: Ich habe mir gesagt: „Dieser Ort ist für die nächsten 520 Tage mein Universum.“ Was vorher war, war vorher und wenn die Zeit abgelaufen ist, werde ich wieder draußen sein. Akzeptanz war für mich sehr wichtig, mich nicht dagegen zu wehren, sondern zu lernen mit der Situation, so wie sie ist, umzugehen.

Alex: Aber hattest du nicht trotzdem manchmal Tiefpunkte?

Romain: Doch natürlich! Beispielsweise sollten wir von Beginn an Routinearbeiten nachgehen, aus denen die Forscher Erkenntnisse ziehen wollten. Anfangs war es in Ordnung, aber je mehr Zeit verging, desto größere Probleme hatten wir uns zu motivieren diese langweiligen Tätigkeiten auszuüben. Das hat sich natürlich auf die allgemeine Stimmung ausgewirkt.

Alex: Ich stelle es mir generell sehr stressig und konfliktreich vor, mit einer Gruppe Menschen auf einem so engen Raum zusammenzuleben.

Romain: Erstaunlicherweise hatten wir sehr wenige Konflikte. Das hat die Psychologen auch sehr erstaunt. Dazu muss man auch sagen, wir wurden vorab sehr sorgfältig ausgewählt, von Psychologen begutachtet, ob wir überhaupt die Persönlichkeitsstruktur für ein solches Experiment mitbringen. Man muss verrückt sein, um bei so etwas mitzumachen, aber auch nicht zu verrückt, damit man in der Gruppensituation bestehen kann. Es ist eine sehr schmale Grenze.

Alex: Apropos Gruppe, wie war es für dich, deine Autonomie und Privatsphäre für einen so langen Zeitraum abzugeben? Du kommst ja auch aus einem westlichen Kulturkreis – wir hier sind das nicht so sehr gewöhnt!

Romain: Privatsphäre hatten wir insofern, als dass jeder seinen eigenen Raum hatte. Der war zwar sehr klein, aber er hatte immerhin Wände. Es war hellhörig, aber ich konnte es als „meins“ betrachten. Schlimmer war es mit dem Essen: Wir hatten das ganze Essen von Anfang an dabei und es war streng rationiert. Auch wenn du den ganzen Tag in etwa das Gleiche machst, hast du an einem Tag mehr, am anderen Tag weniger Hunger. Dann kam es mir vor wie Fasten oder eine viel zu große Portion. Und es ist langweilig, weil du nicht entscheiden kannst, was du wann isst. Du weißt, es gibt montags Reis und dienstags Fleisch etc. Die maximale Entscheidungsfreiheit gab es bei der Auswahl zwischen drei Schokoriegelsorten. Tatsächlich mochten aber fast alle die gleiche Sorte, sodass die als erstes vergriffen war. Gegen Ende des Experimentes hatten wir also immer weniger Auswahlmöglichkeit.

Alex: Was ihr auch nicht hattet, waren normale Dinge, wie ein Spaziergang draußen oder ein Besuch im Freibad. Ich kenne es, wenn ich einmal einen Tag in meiner Wohnung bin, dann fühle ich mich nach einiger Zeit ungesund und müde, ich gehe dann nach draußen und dann geht es mir gut. Wie war das bei dir über 520 Tage lang? Hattest du nicht Angst krank und schlapp zu werden?

Romain: Davor hatte ich auch Angst! Tatsächlich war es aber so, dass wir ein gutes Belüftungssystem im Komplex hatten und die Luft immer gut war. Trotzdem vermisst man natürlich verschiedene Orte, die Abwechslung und auch Frischluft oder verschiedene Gerüche.

Alex: In dem Zusammenhang frage ich mich, wie sich deine generelle Wahrnehmung für diesen Lebensraum verändert hat: wirkte er fortlaufend größer oder kleiner für dich?

Romain: Da hat sich eigentlich nicht viel verändert. Allerdings kannte ich nach einiger Zeit natürlich jeden Winkel unseres Komplexes und das machte es sehr langweilig. Auch haben wir zwar immer Bücher und Filme bekommen, aber nie neue physische Gegenstände. Die Wahrnehmung stumpft ab, es gibt nichts Neues mehr zu entdecken.

Alex: Was war in dieser Zeit besonders wichtig für dich?

Romain: Der Kontakt zur Familie und zu Freunden über das Internet. Ich habe mir viel Zeit genommen Briefe zu schreiben und zu lesen.

Alex: Es haben sich viele Menschen für das Experiment beworben. Hast du eine Idee, wieso gerade du ausgewählt wurdest?

Romain: So genau kann ich es nicht sagen. Ich wurde viel nach der Motivation gefragt. Mein Vorteil war, dass mich alle Menschen in meinem Umfeld, denen ich vorab von meiner Idee erzählt habe, ebenfalls gefragt hatten. Ich hatte also schon geübt mich zu verteidigen. Vielleicht hat mir das in den Gesprächen mit den Psychologen die nötige Souveränität und Sicherheit verliehen.

Alex: Aber mal ehrlich: glaubst du, dass das Experiment realistisch war? Immerhin seid ihr nicht wirklich ins Weltall geflogen…

Romain: Das stimmt. Ich wusste zwar, dass man mich nicht einfach wegen schlechter Laune nach draußen holen würde, aber ich wusste auch, dass ich im schlimmsten Notfall, wie beispielsweise einer schweren Erkrankung, nicht dort sterben müsste. Auf einem bemannten Marsflug ist diese Situation natürlich eine andere und damit auch mit anderen Ängsten verbunden. Ich glaube, dass man dennoch Erkenntnisse über das Zusammenleben von Menschen auf einem sehr engen Raum ziehen kann und auch, wie Konflikte entstehen und gelöst werden, welche Menschen für eine eventuelle Marsreise taugen und wie man psychische Stabilität beeinflussen kann. Trotzdem: wie eine Mission zum Mars ablaufen wird, wissen wir erst dann, wenn sie wirklich stattgefunden hat.

Alex: Du bist nach 520 Tagen wieder in dein normales Leben gekommen. Aber, war es wirklich so normal, wie du es dir erwartet hast?

Romain: Nein, überhaupt nicht. Man selbst hat sich ja verändert! Und hinzukam, dass sich plötzlich viele Menschen und Medien für mich interessierten – etwas, was ich so von früher auch nicht kannte. Es waren zwei Extreme, die sehr dicht aufeinanderfolgten. Die totale Isolation und dann sehr viele Reize. Ich musste auch erst lernen, damit umzugehen. Trotzdem bin ich für die Zeit und für Mars 500 sehr dankbar. Es war ein spannendes Erlebnis!



Offizielle Seite von Mars 500

http://www.imbp.ru/Mars500/Mars500-e.html

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Dieser erste, kurze Blogbeitrag widmet sich dem wohl größten aller Räume, die wir kennen – dem Weltall! Dort wohnt und arbeitet im Moment Astronaut Alexander Gerst auf der Internationalen Raumstation „ISS“. 

ESA Social Space 2014
Sein Alltag besteht nun aus Schwerkraft, einer senkrechten Schlafposition und dem gigantischen Ausblick aus der Cupola auf die Erde. Wie fühlt sich ein Körper in einer Lebensumgebung an, die alles andere als natürlich ist? Wo Sauerstoff, Bewegungsfreiheit und Gravitation nicht selbstverständlich sind?

Alexander Gerst beantwortet diese Frage beim ESA Social Space am 22. August 2014, live von der ISS - mit einem Salto! 

Hier ein Auszug aus dem "inflight call".