Imagine our planet would have no borders. And then, step two, rethink: it
actually has none!
“Ich zappte durch die Programme
unseres Fernsehens und entdeckte diesen merkwürdigen Film. Da stürmten Menschen
über die Berliner Mauer in den Westen. Irgendwie dachte ich mir, dass so ein
Film schon recht ungewöhnlich für die damalige Zeit sei – und noch seltsamer war:
er lief auf allen Kanälen. Plötzlich erkannte ich einen Bekannten von mir, der
vor der Mauer stand und brüllte: „Wir gehen jetzt in den Westen!“ Da wurde mir
klar, das war kein Film. Das geschah gerade wirklich!“
Das hat meine Mutter mir
geantwortet, als ich sie nach ihrer Erinnerung an den Mauerfall gefragt habe.
An diesem Tag, vor 25 Jahren, hat meine damals fast dreißigjährige Mutter zum
ersten Mal kennenlernen dürfen, was Freiheit bedeutet. Einfach dahin gehen, wo
man gerade Lust hat, keine Restriktionen, kein System, das sich durch die
Hauswand hindurch in das eigene Wohnzimmer einnistet.
Für mich ist das etwas
Unvorstellbares, mich an Grenzen zu halten. Ich bin es gewöhnt in einer Welt zu
leben, in der Menschen verschiedener Nationalitäten in einem Haus wohnen, jeder
sein Geschlecht und seine Sexualität frei wählt, niemand etwas glauben muss und
man keine Portraits von Machthabern in sein Wohnzimmer hängt. Dass ich eine
laute Meinung teilen darf und morgen nach Thailand, China oder in die USA
reisen kann, wenn ich es möchte.
Für
meine Mutter, die in Rumänien geboren und in die DDR ausgewandert war,
bedeutete Freiheit etwas ganz anders: eine Illusion! Etwas, was der Mensch sich
vorstellt, aber was real niemals nachempfunden wurde.
Heute
feiern wir den Fall der Mauer als etwas Vergangenes mit einem überzeugten Gefühl,
das unsere Sicherheit darüber ausdrückt, dass so etwas hierzulande nie wieder
passieren würde. Doch, es reicht nur mit dem Finger auf der Landkarte ein paar
Zentimeter weiterzufahren, um die Aktualität des Themas „Grenzen“
kennenzulernen, beispielsweise in Südkorea.
Aber
wir nutzen Grenzen nicht nur, indem wir sie errichten, sondern auch, indem wir
sie dort zerstören, wo sie uns einen Schutzraum gewähren würden. Wir bauen Zäune und ziehen die Rollos runter,
damit uns niemand ins Haus schaut, um uns in unserer Intimität von anderen
abzugrenzen. Aber stellen wir uns vor, dass uns diese sehr private
Entscheidungsfreiheit von einem uns persönlich unbekannten System abgenommen
wird.
Ein gutes Beispiel für dieses Durchdringen privater
Räume in China ist die Nutzung des am sowjetischen Vorbild angelehnten
Drahtfunks zur Zeit der Kulturrevolution (1966-1976). „Die Menschen waren den
ständigen offiziellen Verlautbarungen und mäßig unterhaltsamen Programmen des
politik- und revolutionsorientierten Drahtfunks ausgeliefert.“[1] Für
viele Menschen, die in ländlichen Regionen lebten, war der Drahtfunk oftmals
die einzige Informations- und Nachrichtenquelle überhaupt und somit das einzige
dialogfördernde Medium. Drahtfunkstationen wurden an Bäumen, aber auch in
Wohnbereichen von Häusern angebracht. „Ende der 1960er Jahre waren rund 6
Millionen Drahtfunkstationen angeschlossen.“[2]
Prägend am Drahtfunksystem war, dass man es nicht abschalten konnte. Stell dir
also mal vor, in deiner Wohnung läuft den ganzen Tag Schlagermusik, obwohl du
Schlager überhaupt nicht magst – und du kannst es nicht abstellen.
Von
China zurück nach Deutschland gibt es jedoch auch hier Grenzen, die uns
beschäftigten, nur dass sie viel subtiler sind und deshalb manchmal schwer zu erfassen.
Ich
wohne schon lange hier in meinem Viertel und meine es zu kennen. Aber als ich
einmal mit dem Fahrrad falsch abgebogen bin, stand ich plötzlich vor einem
Asylantenheim – einem heruntergekommenen Gebäude, mit Teppichen in den
Fenstern, dahinter laute Balkanmusik, der Geruch von gegrilltem Fleisch, Kindergeschrei
und rund einhundert Schicksalen, die auf der Suche nach Freiheit hier gelandet
sind. In einem Paralleluniversum, das sich mitten in meinem Stadtviertel
befindet, aber nicht morgens beim Bäcker Brötchen holt, im Café sitzt und im
Sportverein angemeldet ist. Diese Menschen, die hier leben, fahren nicht im
gleichen Bus wie wir, kaufen keine Winterstiefel und stehen auch nicht an der
Supermarktkasse hinter uns. Auch wenn
wir uns die gleichen Quadratkilometer teilen, trennen uns leider doch
zahlreiche unsichtbare Grenzen voneinander. Wenn wir heute also über Grenzen
nachdenken und uns freuen, sollten wir trotzdem auch einen Wortbaustein
hinzunehmen und diesen als Aufgabe für die Zukunft verstehen: „Aus-Grenzen“.
Ein
schöner Zufall am heutigen Tag ist, dass wir nicht nur 25 Jahre nach dem
Mauerfall gedenken, sondern uns auch über die Rückkehr der Expedition 41 von
der ISS freuen dürfen. Zoomen wir gedanklich, von unserer Welt, die wir mit
Mauern, Zäunen und mentalen Schubladen zugestellt haben, in die Ferne und
warten, was wir dort entdecken werden. Der ehemalige US-Astronaut Donald
Williams formuliert sein Fazit zu dieser Frage folgendermaßen:
„Für diejenigen, die die Erde aus dem Weltraum gesehen haben, und
für die Hunderte und vielleicht Tausende, die es noch tun werden, verändert das
Erlebnis sehr wahrscheinlich ihre Weltsicht. Die Dinge, die wir auf der Erde
miteinander teilen, werden viel wertvoller als jene, die uns trennen.“