Ein persönlicher Einblick in das Entdecken, das Verlieren und das Wiederfinden.
Als ich den Planeten Jupiter das
erste Mal sah, war ich fünf Jahre alt, saß mit meiner Cornflakesschale vor dem
Fernseher und fragte mich, was der runde Gegenstand in der Kinderkanalsendung
zu suchen hatte. „Das - das ist ein Planet“, erklärte meine Mutter. „Ein Planet!“,
wiederholte ich und lächelte - der Startschuss für eine Leidenschaft, die mich lange
begleiten würde.
Es begann eine Kindheit geprägt von
dem Traum, Astronautin zu werden. Meine Mutter schenkte mir
Kinder-Astronomiebücher, die ich bald auswendig kannte, und brachte mich - da
wir damals noch in Berlin lebten - in das Naturkundemuseum, wo mich vor allem
die meterhohen Dinosaurierskelette faszinierten. Astronautin würde ich zwar nie
werden, zu schlecht sind meine Augen und außerdem wird mir schon auf der Rückbank
im Auto übel, aber der Enthusiasmus für alles, was mit unserem Ursprung, der
menschlichen Funktionsweise, der Natur oder dem Kosmos zusammenhing blieb,
Diese Liebe zu Naturwissenschaften
spiegelte sich auch im Zeugnis wieder. In der sechsten Klasse war meine beste
Note eine Eins in Physik.
Anfang der siebten Klasse betrat aber
ein anderer Lehrer den Physikkurs. Von da an bauten wir nicht mehr Stromkreise
mit großen Batterien auf Pappe, sondern begannen, Versuchswerte von der Tafel
abzuzeichnen, deren Entstehung die meisten von uns nicht praktisch
nachvollzogen. Unser Chemielehrer, ein verrauchter Mann kurz vor der
Pensionierung mit einem längst vergilbten Weltbild erklärte, dass Chemie
Mädchen nur dann betrifft, wenn es um die Zusammensetzung der Haartönung ginge.
Einige Wochen, nachdem das Schuljahr
begonnen hatte, waren viele Klassenkameraden ein paar Stuhlreihen zu den
hinteren Bänken gewandert, legten die Köpfe auf die Tischplatten, um ihrer
Resignation einen Ausdruck zu verleihen. Physik war out. Chemie genauso. Zu
abstrakt, zu langweilig. Mit schweigendem Blick sah ich, wie die Welt von Isaac
Newton mit den Baumblättern im Oktober allmählich verschwand und eine mir
unbekannte Kälte hinterließ.
Meinen Gleichgesinnten und mir blieb nur ein
Ausweg: Wir stürmten die Front der Geisteswissenschaftler. Doch hier wurden wir
prompt zur Generation „kann-doch-eh-nur-reden“ oder Generation
„geht-an-die-Uni-um-auf-Hartz-IV-zu-studieren“ ernannt. So lauteten die
Stempel, die uns aufgedrückt wurden, die weder uns, noch den
Geisteswissenschaftlern noch sonst irgendeinem Menschen gerecht werden.
Wir sprachen über Zeitgeist und
Weltschmerz, während ein paar Außenseiter mit Reagenzgläsern experimentierten.
Naturwissenschaften waren das, wofür mein Kopf nicht taugte - davon war ich
überzeugt. Dabei las ich in meiner Schulzeit nie Romane, hatte aber Regale
voller Sachbücher, die sich mit Astronomie, Psychologie, Raumtheorien oder
Evolution beschäftigten.
Aber ich lief mit der Gruppe mit,
schrieb viel, versuchte mich an philosophischen Gedanken und spürte dabei, dass
mir irgendetwas fehlte - ich wusste nur nicht so genau was. Vor allem, da mir
waghalsige Schullektüren-Interpretationen niemals lagen, und ich es nur
verstand vorab im Internet nach der Lösung zu suchen um diese in Klausuren
originalgetreu wiederzugeben. Wenn ich mir heute alte Klausuren aus dem
Deutschkurs anschaue, beginnen meine Sätze fast alle gleich: „Dieses Buch
kritisiert die Welt, weil…“ Ich wollte damals auch die Welt verändern, und mir
war klar, dass ich das nicht durch Geschichten erzählen erreichen würde,
sondern indem ich etwas erfinde!
Mittlerweile bin ich dankbar dafür,
dass meine stille Sehnsucht ein Ende gefunden hat und ich mich dank meines
Studiums auf dem Spielplatz der Wissenschaft vollständig austoben darf. Nachdem
ich mich an der Uni eingeschrieben hatte, landete ich zunächst artig dort, wo
die Gesellschaft mich einkategorisiert hatte: bei denen, die nur reden.
Besonders wohlgefühlt habe ich mich zwischen hippen Sprüchen, verbalen
Schnellballschlachten und dem anerlernten Coolnessfaktor ehrlich gesagt nie.
Aber ich hatte das Glück auch andere Erfahrungen machen zu dürfen:
Ich erinnere mich an einen stillen
Dezemberabend, es war der zweite Weihnachtstag und ein Freund lud mich ins Programmkino
ein, um einen Film zu schauen. Da bin ich ihnen begegnet: Menschen, die so sind
wie ich! Auf der Leinwand. Der Film, eine südamerikanische Produktion über die
Teleskope in der Atacama-Wüste portraitierte Menschen, die Sätze sagten, die
ich erstens nachvollziehen und zweitens wertschätzen konnte. Ich habe selten
bei einem Film geweint, aber an diesem lahmgelegten Weihnachtsfeiertag saß ich
in Köln im Kino und fühlte mich so, als würde ich von einer kalten Eisschicht
befreit werden.
Wenn mich heute jemand fragt, was
ich mache, dann sage ich: „Wissenschaft!“ Und es fühlt sich irgendwie richtig
an!
Jeder Mensch ist ein Wissenschaftler
In seinem Buch „Successful Research
Projects“ schreibt B. C. Beins als einleitenden Satz auf die Frage danach,
warum wir Wissenschaft und Forschung betreiben: „The best answer is, that we do
research, because it is fun!“
Was mich am Weltraum, oder an der
Wissenschaft allgemein, fasziniert, ist ihre Unendlichkeit und die Tatsache,
dass wir mit unserem Wissen an Grenzen stoßen, weil dieses Themenfeld für uns
noch keine Grenzen im Erfahren und Erforschen kennt.
Wir sind aus dem Weltraum
entstanden, sind auf Bäume geklettert, haben Wildschweine gejagt und Kriege
geführt um uns mit Hilfe der Wissenschaft und dem darin eingebetteten
Idealismus unserem Ursprung wieder zuzuwenden.
Mich faszinieren auch die Menschen,
die ich in der Wissenschaft getroffen habe, einerseits kreativ und voller
Visionen, auf der anderen Seite klare und strukturierte Charaktere, die sich in
Details verlieren um das Ganze zu erfassen.
Zu einem dieser Menschen zählt der
mittlerweile verstorbene Jesco von Puttkamer, der einmal sagte: „Jugend, meidet
die Komfortzone!“ Das war im Astronomiejahr 2009 bei einem Vortrag, wo ich
alleine als junger Mensch zwischen gefühlt 300 Rentnern dasaß und mich in
diesem Moment fürchterlich erhaben fühlte.
Oder ein anderes Beispiel, der
deutsche Astronaut Alexander Gerst, der als Multitalent und Paradebeispiel
eines Menschen viele Heldenvisionen erfüllen dürfte und dann doch von der
Zerbrechlichkeit unseres Planeten berichtet, würdevoll und nachsichtig.
Und das zeigt, dass wir im
Anbetracht des Universums klein und unbedeutsam sind, aber unserer Existenz
dadurch einen Wert verleihen, dass wir kreativ sind, fragen und entdecken.
Lebewesen, die nicht nur sprichwörtlich nach den Sternen greifen, sondern real
den Weg nach oben suchen.
Der Begriff „Kreativität“ steht für
viele Menschen im Gegensatz zur Wissenschaft, aber wer sich den Wortursprung
ansieht, kann Ähnlichkeiten entdecken. Kreativ sein bedeutet schaffen, und
dieses steckt auch in der Wissenschaft. Natürlich gibt es auch Menschen, die
bei Gang auf die Toilette bedeutsame Erfindungen geleistet haben, aber selbst
dafür muss ein Mensch wach, ein bisschen kindlich und vor allem offen und
schöpferisch sein, um an seiner Entdeckung nicht vorbei zu spazieren.
Heute, knapp 20 Jahre später, finde
ich mich in der Eingangshalle des Naturkundemuseums wieder, wo jener große
Dinosaurier vor mir steht. Ich habe Angst davor, dass er klein und langweilig
erscheinen könnte. So geht es schließlich vielen Erwachsenen, die die Fähigkeit
zum Staunen längst verlernt und schließlich verloren haben. Als ich die Halle
betrete, fällt mir zunächst ihr Klang auf: ein leises Echo von Stimmen, Schritten
und zirkulierender Luft.
Dann steht er vor mir. Das helle Skelett
wirkt immer noch riesig - so wie damals, ich fühle mich klein, versuche die
Knochen zu zählen um begeistert ab der Mitte aufzugeben, weil es zu viele sind.
Erleichtert realisiere ich, dass sich an
meiner Begeisterung nichts geändert hat, nur meine Betrachtungsweise hat neue
Aspekte gewonnen. Aus einer naiven Neugierde ist das Bewusstsein für die
permanente Grenzenlosigkeit, die mich umgibt, entstanden.
Als ich aus dem Museum in die junge
Nacht trete, sehe ich, dass trotz der Stadtlichter Berlins am Himmel helle
Sterne leuchten.